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Anästhesie

Der Anästhesist sollte über grundlegende Informationen zur Poliomyelitis verfügen und sich bewusst sein, dass es sich bei dieser Erkrankung um den Untergang der motorischen Vorderhornzellen handelt. Er sollte wissen, dass es sich bei rund zwei Drittel der Erkrankungen um spinale, und bei einem Drittel um bulbäre Formen handelt. Auch eine Kombination aus beiden Formen ist möglich.

Insbesondere PPS-Patienten mit Narkoseerfahrung sind vor einer Operation verunsichert. PPS-Patienten benötigen eine längere Aufwachzeit sowie eine längere Rekonvaleszenz.

Vor der Operation

Anästhesie- und Operationsrisiken müssen in die OP-Planung einbezogen werden. Dabei ist zu beachten, dass die Muskelmasse von PPS-Patienten reduziert ist. Ein Minderbedarf an Medikamenten steht einem Mehrbedarf an Blut und Flüssigkeit gegenüber, und oft stellen Atmungsprobleme ein großes Problem dar. Die Medikamentenempfindlichkeit von Polio-Betroffenen ist wesentlich erhöht, vor allem bei Narkotika und Anästhetika. Muskelrelaxantien sollten vermieden werden. Der Anästhesist sollte einkalkulieren, dass es zu Problemen beim Intubieren (Einführen einer Hohlsonde) kommen kann. Er sollte auch bedenken, dass beim PPS-Patienten ein längerfristiger Informationsbedarf vorliegt und die Aufklärung über die Vorgehensweise zusammen mit dem Patienten stattfinden sollte.

Am Operationstag

Für alle Narkoseverfahren gilt: Aktive Wärmemassnahmen müssen vor allem bei bestehender Kälteintoleranz einkalkuliert werden.

Regionalanästhesie

Eine Verschlechterung der neurologischen Situation nach Regionalanästhesie ist möglich. Die Entscheidung für oder gegen diese Verfahren wird mit Ihrem Anästhesisten unter Abwägung der potenziellen Vor- und Nachteile erfolgen! Bei Regionalanästhesien gilt es, ggf. die applizierte Menge des Lokalanästhetikums zu reduzieren. Periphere und zentrale Regionalanästhesien mittels Kathetertechniken (auch zusätzlich zu einer Allgemeinanästhesie) erleichtern die postoperative, opioidfreie Schmerztherapie.

Allgemeinanästhesie

Bei Allgemeinanästhesien gilt: möglichst keine Muskelrelaxation anwenden; Larynxmaske verwenden; möglichst wenig Opioide einsetzen; allgemein gut steuerbare, kurz wirksame Substanzen einsetzen.

Eine mögliche Narkoseführung

Einleitung

  • Narkoseinduktion Propofol 1-2 mg / kg Körpergewicht
  • Fentanyl 2 μg / kg Körpergewicht
  • Muskelrelaxation Mivacurium 0,2 mg / kg Körpergewicht

Narkoseführung

  • Remifentanil 0,05-0,2 μg / kg Körpergewicht / min
  • Desfluran oder Sevofluran 0,4-0,8 MAC
  • Nachrelaxation nur unter neuromuskulärem Monitoring
  • Multimodale PONV-Prophylaxe (4 mg Dexamethason, 4 mg Ondansetron, 0,5 mg Haloperidol)
  • ggf. Supplementierung mit alpha-2-Agonisten
  • Schmerztherapie beginnen! (1,5 g Novalminsulfon und Piritramid in reduzierter Dosierung)

Ausleitung

  • Mund / Rachenraum absaugen, Restrelaxation erfassen und ggf. antagonisieren.
  • Bei der Ausleitung der Narkose sollten Anästhetika und Analgetika früh abgestellt werden. Die Regionalanästhesie sollte ohne Lokalanästhetika weitergeführt werden.
  • Muskelkraftmessung mittels Relaxometrie. Aufwachphase mit Unterstützung der Atmung.

Nach der Operation

  • Kontinuierliche, verlängerte Überwachung der Vitalfunktionen im Aufwachraum
  • Atemübungen, Aufforderung zum Husten, ggf. CPAP oder BiPAP (eigenes Gerät mitbringen). Atemunterstützung und Physio-therapie mittels passiver Bewegungsübungen sollte auf neurophysikalischer Basis und die Frühmobilisierung bereits am operativen Tag erfolgen.
  • Oberkörperhochlagerung 30° (zur Aspirationsprophylaxe)
  • Wärmemassnahmen
  • Bei der Schmerztherapie Opioide vorsichtig titrieren (auswählen und dosieren), mit Nicht-Opiaten kombinieren, vorzugsweise Regionalanästhesieverfahren mit patientenkontrollierter Analgesie (PCA) einsetzen, Schmerzabwesenheit kontrollieren
  • Indikation zur Überwachung auf Intermediate Care oder Intensivstation grosszügig stellen

Die Aufwachphase bei Polio-Patienten dauert in der Regel deutlich länger.