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Dysphagie (Schluckstörungen)

Schluckstörungen (Dysphagie) betreffen bis zu 30% der Post-Polio-Betroffenen.

Eine frühzeitige und gezielte Diagnostik ist wichtig, um Komplikationen zu verhindern. Da viele Muskeln, welche für das Schlucken verantwortlich sind, auch für das Sprechen und die Stimme gebraucht werden, kann es auch zu Schwierigkeiten in der Sprachproduktion kommen. Verschiedene Therapien, Verhaltensänderungen und Hilfsmittel können helfen, die Symptome zu lindern.

Der Schluckvorgang

Der Schluckvorgang wird zentral gesteuert und bedingt das präzise Zusammenspiel von über 40 Muskelpaaren und verschiedenen Hirnnerven. Beim Schlucken sind verschiedene Phasen nacheinander geschaltet.

  1. Orale Vorbereitungsphase: Die Nahrung wird in den Mund geführt, falls notwendig gekaut, mit Speichel vermischt und in eine Konsistenz gebracht, welche einfacher zu schlucken ist. Die Nahrung wird im Mund mit der Zunge zu einer schluckbaren Form, dem Bolus, geformt.
  2. Orale Transportphase: Nun wird das Getränk oder der Bolus mit der Zunge in den Rachen befördert. Hier wird, sobald der vordere Gaumenbogen erreicht ist, der Schluckreflex ausgelöst. Ab diesem Zeitpunkt verläuft der weitere Schluckvorgang fast ausschliesslich unwillkürlich, das heisst, nicht mehr willentlich steuerbar.
  3. Pharyngeale Phase: Um zu verhindern, dass Nahrung in Nase oder Luftröhre gelangt, wird der Weg in den Nasenraum durch das Anheben des weichen Gaumens, und die Luftröhre durch das Anheben des Kehlkopfes (Larynx) und die Senkung des Kehldeckels (Epiglottis) auf den Kehlkopfeingang verschlossen. Die Atmung setzt daher für einen kurzen Moment aus und der Eingang in die Speiseröhre (Ösophagus)wird geöffnet.
  4. Ösophageale Phase: Die Nahrung oder das Getränk werden nun mit wellenartigen Muskelbewegungen über die Speiseröhre in den Magen befördert.

Ursache

Eine Störung des Schluckvorgangs kann verschiedene Ursachen haben und zu teilweise schwerwiegenden Folgen führen, welche die soziale Teilhabe beeinträchtigen können. Bereits während einer Infektion durch ein Polio-Virus können Zellen zerstört worden sein, welche für die Steuerung von Atmung, Schlucken und Sprechen verantwortlich sind. Eine Dysphagie kann jedoch auch im Rahmen eines Post-Polio-Syndroms auftreten, ohne dass bei der Primärinfektion eine Beteiligung der für das Schlucken verantwortlichen Strukturen bemerkt worden wäre.

Es wird vermutet, dass die Ursache dieser Schluckschwierigkeiten in der Überbeanspruchung der Muskulatur liegt. Wie bei den restlichen Muskeln des Körpers sind durch eine Polio-Erkrankung jene Nervenzellen untergegangen, welche zur Ansteuerung der Muskeln gebraucht werden. Übriggebliebene Nervenzellen haben danach die Arbeit dieser untergegangenen kompensiert, was über die Jahre und Jahrzehnte zu einer Überbeanspruchung führen kann.

Da jedoch auch eine Vielzahl weiterer Erkrankungen zu Schluckschwierigkeiten führen kann, ist eine gezielte Diagnostik durch eine geeignete Fachperson unbedingt notwendig.

Symptome

Eine beginnende Dysphagie kann sich sehr unterschiedlich äussern:

  • Zunehmende Schwierigkeiten beim Schlucken von Flüssigkeiten, Nahrung oder Tabletten
  • Schmerzen beim Schlucken, welche nicht auf eine Halsentzündung zurückzuführen sind
  • Fremdkörpergefühl im Hals
  • Häufiges Verschlucken (=Aspiration, Eindringen von festen oder flüssigen Substanzen in Atemwege)
  • Würgegefühl, Husten, Räuspern
  • Schwierigkeiten beim Kauen von harter Nahrung
  • Verlängerte Essenszeit
  • Im Mund oder Rachen verbleibende Essensreste nach dem Schlucken
  • Austritt von Nahrung aus Nase oder Mund während oder nach dem Essen
  • Heisere, belegte oder gurgelnde Stimme nach dem Schlucken
  • Veränderung der Stimme

Folgen

Schluckschwierigkeiten können eine Vielzahl, teilweise schwerwiegender, Komplikationen mit sich bringen:

    • Mangelernährung, da gewisse Nahrungsmittel gemieden werden
    • Gewichtsverlust
    • Flüssigkeitsmangel
    • Verdauungsstörungen, Magenbeschwerden, Sodbrennen
    • Erhöhte Infektionsanfälligkeit
    • Wiederkehrende Lungenentzündungen durch wiederholtes, auch unbemerktes, Verschlucken (Aspiration)
    • Verminderte körperliche und geistige Leistungsfähigkeit

 

Diagnose

Falls Sie unter länger anhaltenden oder zunehmenden Schluckbeschwerden leiden, wenden Sie sich bitte an eine der folgenden Fachpersonen:

  • Hausärztin/-arzt (Ärztin/Arzt für Allgemeine/Innere Medizin)
  • Fachärztin/-arzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde (HNO)
  • Fachärztin/-arzt für Gastroenterologie
  • Fachärztin/-arzt für Neurologie

Diese Fachpersonen leiten eine gezielte Diagnostik in die Wege, welche aus folgenden Schritten bestehen kann.

Anamnese: Bei der Anamnese wird abgeklärt, wie der bisherige Krankheitsverlauf war (z.B. Art und Dauer der Beschwerden, Veränderung des Beschwerdebildes), welche Behandlungen bereits vorgenommen wurden, welche Medikamente eingenommen werden, welche Essgewohnheiten bestehen etc.

Klinische Untersuchung: Bei der klinischen Untersuchung werden die am Schluckvorgang beteiligten Strukturen untersucht sowie die Motorik und Sensibilität getestet. Dazu gehören ebenfalls die Beurteilung der Stimmqualität und die Überprüfung der Schutzreflexe (Würgen, Husten, Räuspern). In den meisten Fällen wird ein Schluckversuch durchgeführt, um den Schluckakt äusserlich beurteilen zu können.

Bildgebende Verfahren: Die bildgebenden Verfahren helfen bei der Untersuchung von äusserlich nicht einsehbaren Strukturen. Bei der transnasalen Video-Endoskopie wird ein Endoskop über die Nase eingeführt, an welchem eine Lichtquelle sowie eine Kamera befestigt sind. So können Aufnahmen von den inneren Strukturen im Ruhezustand und während des Schluckvorgangs gemacht werden.

Bei der Videofluoroskopie handelt es sich um eine Röntgenuntersuchung, wobei  ein spezielles Kontrastmittel zu schlucken ist. Während des Schluckens können die Bewegungsabläufe durch die medizinische Fachperson beobachtet werden und zwar von der Mundhöhle bis zum Mageneingang.

Die Manometrie ist ein bildgebendes Darstellungsverfahren und wird bei komplexen Schluckschwierigkeiten eingesetzt. Sie ermöglicht die Untersuchung der Druckveränderung der für ein funktionierendes Schlucken verantwortlichen Strukturen. Dafür werden ein Katheter mit Drucksensoren über die Nase eingeführt und die Daten während des Schluckvorgangs gesammelt.

Therapie von Schluckstörungen

Falls bei Ihnen Schluckschwierigkeiten diagnostiziert wurden, können Ihnen Ernährungsberater/innen und Logopäd/innen Wege aufzeigen, mit den Einschränkungen umzugehen. Ein breites Angebot an Techniken und Therapien steht zur Verfügung, welche je nach Art und Ursache der Symptome zur Anwendung kommen. Neben der funktionellen Schlucktherapie stehen auch medikamentöse und chirurgische Verfahren zur Verfügung.

Funktionell orientierte Schlucktherapie: Die funktionelle Schlucktherapie ist der wichtigste Ansatz bei Dysphagie. Sie besteht aus verschiedenen Verfahren:

  • Restituierende/kausale Verfahren: Bei diesen Übungen werden Kraft und Geschicklichkeit der entsprechenden Muskulatur trainiert, um den Schluckvorgang wieder zu verbessern.
  • Kompensatorische Verfahren: Bei den kompensatorischen Verfahren wird die Körper- und Kopfhaltung für den Schluckvorgang optimiert sowie spezielle Schlucktechniken eingeübt, um trotz Funktionseinbussen besser schlucken zu können.
  • Adaptierende Verfahren: Die adaptierenden Verfahren umfassen die Anpassung der Ernährung (v.a. Nahrungsmenge und -konsistenz, Zeitpunkt und Dauer der Mahlzeiten). Es können auch spezielle Zusatzernährungsprodukte, wie zum Beispiel hochkalorische Trinknahrung und Verdickungsmittel für Flüssigkeiten, eingesetzt werden. Zudem können Hilfsmittel (z.B. spezielle Trinkbecher, Spezialbesteck) die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme erleichtern. Bei schwerwiegenden Schluckschwierigkeiten stehen verschiedene Formen der künstlichen Ernährung zur Verfügung.

Medikamente: Medikamente können für die Behandlung von Begleitsymptomen wie Magenbrennen, Reflux und Speichelflussstörungen eingesetzt werden. Die Schlucktherapie steht jedoch im Vordergrund.

Chirurgische Verfahren: Diese kommen zum Einsatz, falls die Schlucktherapie nicht den gewünschten Erfolg bringt und umfassen unter anderem Verfahren für die Vorbereitung einer künstlichen Ernährung.

Generelle Tipps im Umgang mit Schluckbeschwerden

  • Sitzen Sie während des Essens und Trinkens aufrecht und bequem. Achten Sie darauf, dass der Tisch eine passende Höhe hat. Warten Sie nach dem Essen mindestens 30 Minuten, bis Sie sich hinlegen und essen und trinken Sie wenn möglich nicht liegend.
  • Essen Sie in ruhiger Atmosphäre, um beim Schlucken nicht abgelenkt zu werden.
  • Versuchen Sie den Kopf beim Essen und Trinken nicht in den Nacken zu legen.
  • Vermeiden Sie zu essen, wenn Sie müde sind.
  • Planen Sie genügend Zeit für das Essen ein.
  • Vermeiden Sie sehr heisse oder kalte Getränke.
  • Nehmen Sie kleinere Bissen zu sich und schlucken Sie alles komplett herunter, bevor Sie den nächsten Bissen zu sich nehmen.
  • Kauen Sie gründlich.
  • Trinken Sie zwischendurch etwas, um den Mund wieder ganz zu „säubern“.
  • Achten Sie darauf, dass ihr Mund vollkommen leer ist, bevor Sie zu sprechen beginnen.
  • Nehmen Sie Medikamente nicht mit Wasser ein, sondern z.B. mit Yoghurt, Apfelmus oder Nahrungsmitteln ähnlicher Konsistenz.
  • Essen Sie zuerst die Nahrungsmittel, welche Sie gründlicher kauen müssen, damit die Schluckmuskulatur noch nicht ermüdet ist.
  • Verwenden Sie Strohhalme nur, wenn diese Ihnen von der behandelnden Fachperson für Dysphagie empfohlen werden.
  • Essen Sie häufiger, aber kleinere Portionen.

Quellen

Söderholm, S; Lehtinen, A.; Valtonen, K.; Ylinen, A. (2010). Dysphagia and dysphonia among persons with post-polio syndrome – a challenge in neurorehabilitation. In: Acta Neurol Scand, 122(5), S. 343–349
Sonies, Barbara C. (2010). Swallowing Difficulty and the Late Effects of Polio. In: POST-POLIO-Health, 26(3), S. 6
The British Polio Fellowship (n.d.). Swallowing problems. A guide for people with Polio or Post Polio Syndrome (PPS)
www.dysphagie.ch